Kolbermoorer G'schicht'n
Liebe Leserinnen und Leser der Kolbermoorer G'schicht'n !
Unser Vorrat an Niederschriften über Ereignisse und Erzählungen, die sich auf Kolbermoor beziehen, also unser Fundament für die Kolbermoorer G'schicht'n, ist leider erschöpft ...
Deshalb bitten wir alle, die in dieser Richtung noch einen "Schatz" in petto haben und ihr Wissen weitergeben möchten, sich zu melden, damit die gern gelesene Rubrik weiter bestehen kann.
Wir freuen uns auf Ihre „G'schicht'n” und bedanken uns herzlich für Ihre Mithilfe! Alle bisher gesammelten Kolbermoorer G'schicht'n finden Sie hier.
Ihre Ansprechpartnerin im Rathaus ist
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Bittschreiben Fleischmann
1. Bürgermeister Fleischmann
Kolbermoor, den 12. Mai 1932
S.H.
H e r r n M a t t h . S .
Gutsbesitzer
B l i n d h a m
Post Feldkirchen.
E u e r H o c h w o h l g e b o r e n !
In einer Angelegenheit, die mir sehr am Herzen liegt, bitte ich mich an Euer Hochwohlgeboren wenden zu dürfen.
Seit vielen Jahren hat die Gemeinde sich mit dem Gedanken getragen, eine Schwimmbadeanstalt zu erbauen. Die Notwendigkeit eines Schwimmbades ist in einem Arbeiterort mit 5230 Einwohnern und rund 900 Schulkindern unbedingt gegeben und erhellt auch aus einem Gutachten der Kreisregierung die sich hierzu folgendermaßen geäußert hat: „Die Errichtung eines Schwimmbades in Kolbermoor ist für die gesundheitliche Entwicklung der Bevölkerung von Kolbermoor, besonders der Jugend von größter Bedeutung, zumal die Bevölkerung weitgehend in Industriebetrieben tätig ist".
Als besonders beachtenswert kommt hierbei noch in Frage, dass auch die Wohnverhältnisse in der Gemeinde überaus ungünstig sind, dass die in der Mehrzahl recht kleinen Wohnungen, obwohl niedrig, licht- und luftarm übermäßig stark belegt sind und so einen sehr guten Nährboden für Erkrankungen aller Art, vor allem der Atmungsorgane bilden. Es kommt nicht selten vor, dass Familien mit 8 und mehr Personen nur 2 kleine Räume zur Verfügung haben, die als Wohn-, Schlaf- und Kochraum zugleich dienen müssen, was schon vom Standpunkt sittlicher Erwägungen aus tief bedauerlich ist.
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In Krankheitsfällen ist eine Absonderung der Familienmitglieder nicht möglich und die Ansteckungsgefahr eine umso höhere. Aus diesen Gründen müsste zur Verhütung und Vorbeugung von Krankheiten alles nur irgend Mögliche geschehen. Als Vorbeugungsmittel gegen Krankheiten ist in erster Linie die körperliche Abhärtung und Reinlichkeit zu pflegen. Gerade für die Jugend ist dieses Moment von ganz besonderer Wichtigkeit.
Die Schulkinder haben hier nicht die Möglichkeit, im Winter oder Sommer- ein Bad zu nehmen - das wilde Baden kann nicht in Frage kommen aus Gründen der Sittlichkeit und der Sicherheit. Sie haben auch nicht Gelegenheit, das Schwimmen zu erlernen, das heute sogar zum Unterrichtsplan der Schulen gehört. Die Lasten, die das deutsche Volk heute zu tragen hat, und die Anforderungen, die im Arbeitsleben heute an jeden einzelnen gestellt werden, sind weit höhere als in Friedenszeiten und es bedarf gesunder Körper, kräftiger Menschen, wenn die Last getragen werden soll ohne dass das arbeitende, schaffende Volk dabei zu Grunde geht. Die Jugend, auf der einst die Hauptlast liegen wird, bedarf darum in erhöhtem Maße de öffentlichen Fürsorge. Sie muss vor allem ertüchtigt, abgehärtet und gestählt werden.
Im Hinblick auf diese hohe Bedeutung des Badens für das Volk hat der Gemeinderat im Jahre 1929 den immer wieder erhobenen Forderungen nach Schaffung eines Schwimmbades endlich nachgegeben und sich entschlossen, die
Erbauung eines Schwimmbades in Angriff zu nehmen, umso mehr als die verehrl. Baumwollspinnerei Kolbermoor den Platz für das Bad unentgeltlich der Gemeinde überlassen hat. Ausschlaggebend war dabei die Erwägung, dass durch den Bau eine Anzahl von Wohlfahrtserwerblosen, die an sich auch von der Gemeinde unterhalten werden mussten, vorübergehend eine Verdienstmöglichkeit erhielt und damit nicht bloß eine gemeinnützige, sondern auch eine soziale Tat vollbracht würde. Mit Hilfe eines zu sehr geringen Zinsfuss erhaltenen Darlehens konnten im Laufe des Jahres 1929 und 1931 die Erd- und Betonarbeiten ausgeführt werden, sodass das Badebecken vollkommen fertig gestellt ist.
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Der Badebetrieb darf jedoch erst aufgenommen werden, wenn der Platz mit einem geschlossenen Bretterzaun eingefriedet ist und einige Aus- und Ankleidekabinen geschaffen sind. Hierzu sind ca. 600 qm Holz erforderlich, das notwendige Dacheindeckungsmaterial und das Beschläge für die Türen. Mit 1200 RM dürften diese Arbeiten ausgeführt werden können. Die trostlose Finanzlage der Gemeinde gestattet aber nun die Durchführung der genannten Arbeiten nicht, weil es der Gemeinde bei ihrer fürchterlichen Belastung mit Fürsorgeausgaben nicht möglich ist, diese Beträge aufzubringen. Ein paar Zahlen mögen die Wahrheit dieser Tatsache beweisen!
Die örtliche Industrie liegt seit nahezu 3 Jahren sehr darnieder. Die Baumwollspinnerei, die seit fast 2 Jahren die dreitägige Arbeitszeit hatte einführen müssen, kann seit 9. Mai nur noch an zwei Tagen wöchentlich arbeiten lassen; das Tonwerk, das seit 7 Monaten vollständig still stand, hat am 9. Mai mit nur einem Brennofen den Betrieb wieder aufgenommen und vergütet die Arbeiter mit einem ganz bedeutend herabgesetzten Lohne, die Elektrodenfabrik arbeitet überhaupt nur wochenweise und hat außerdem die Arbeiterzahl ebenfalls erheblich herabgemindert. Die Einnahmen der Gemeinde gehen dadurch erschreckend zurück, während die Fürsorgeausgaben in Schrecken erregender Weise anwachsen. Allein die Einkommen-und Körperschaftssteuer sank von 85000 RM im Jahre 1928 auf 12000 RM im Jahre 1931, wovon 10000 RM noch für das Krisenfünftel in Abzug kommen; die Fürsorgelasten dagegen stiegen von 51000 RM im Jahre 1928 auf 145000 RM im Jahre 1930 und 192000 RM im Jahre 1931 an; für das Jahr 1932 ist mit einem Aufwand von sicher 270000 RM zu rechnen, wogegen die Gesamteinnahmen mit Anstrengung 150000 RM erreichen dürften. Dass unter solchen Verhältnissen die Gemeinde nicht in der Lage ist, die Mittel für die Fertigstellung des Bades jetzt aufzubringen, dürfte keinem Zweifel mehr unterliegen.
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Wiederum steht eine Badezeit vor der Türe und wiederum hofft unsere Jugend, dass das Schwimmbad, das nun seit fast 3Jahren im Bau ist, ihr in diesem Sommer übergeben wird. Auch die Turn—und Sportvereine erwarten mit Sehnsucht die endliche Übergabe des Bades an die Allgemeinheit, um einen Sport auch hier ausüben zu können, der gerade vom Standpunkt der körperlichen Ertüchtigung aus weitestgehende Förderung verdient. Ohne Herstellung einer
vorschriftsmäßigen Einfriedung und ohne Schaffung von Auskleideräumen kann das Bad aber nicht in Benützung gegeben werden. Um dem Wunsche der Jugend gerecht werden zu können und um einem berechtigten Bedürfnis abhelfen zu können, wage ich es an Euer Hochwohlgeboren die ergebenste Bitte zu richten, zur Fertigstellung des Bades eine Spende in Holz oder in bar gütigst gewähren zu wollen.
Ich weiß, dass meine Bitte etwas Ungewöhnliches darstellt, aber die entsetzlichen Verhältnisse in der Gemeinde, unter denen man auch seelisch schwer leidet, mögen das Außergewöhnliche meines Schrittes entschuldigen. Auch das Mitgefühl mit der Jugend, die unter schwierigsten Verhältnissen heranwächst und so vieles entbehren muss, ermutigt mich, an Euer Hochwohlgeboren mich zu wenden.
Für sie und alle jene, die heute unfreiwillig feiern müssen, die kaum eine Aussicht haben, in einem Berufe unterzukommen, bitte ich, weil in einem Leben bitterster Not und größter Entbehrung die Betätigung im Sport eine willkommene und gesunde Ablenkung bedeutet, weil sie über die verzweifelte Stimmung in etwas hinweghilft. Schließlich darf noch erwähnt werden, dass die Durchführung der Arbeiten, wenn sie auch in der Hauptsache im Wege der Pflichtarbeit geschehen soll, doch für ein paar Handwerksleute Verdienst bringt, die nach langer Arbeitslosigkeit auch einen sehr bescheidenen Verdienst mit heißer Sehnsucht erwarten und in größter Dankbarkeit hinnehmen. Eine harte Sorge wäre durch die Ermöglichung der Fertigstellung des Bades von mir genommen, weil das bisher aufgewendete Kapital doch nicht nutzlos ausgegeben worden wäre.
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In meiner tiefen Sorge um die Gemeinde bitte ich mein Anliegen nicht unwillig aufnehmen und uns inetwas helfen zu wollen. Wenn jemand so wie ich seit nahezu drei Jahren die unverschuldete Not des Volkes in unmittelbarer Nähe miterlebt, der wird in meinem Bemühen um die Gemeinde auch auf diesem Wege nichts Ungehöriges erblicken können. Ich tue es ja nicht für mich, ich tue es aus Mitgefühl mit der hart ringenden Bevölkerung und im Interesse von Heimat und Vaterland. Indem ich wegen meiner Kühnheit nochmals um gütige Entschuldigung bitte, ersuche ich etwaige Spenden in bar auf das Postscheckkonto der Gemeinde - Nr.50966 Postscheckamt München - überweisen zu wollen. Für jede Gabe, die ich in heißer Freude hinnehme, spreche ich im Voraus den tief gefühltesten, innigsten Dank aus.Mit dem Ausdrucke der vorzüglichsten Hochachtung verbleibe ich
Euer Hochwohlgeborenergebenster
Fleischmann
1. Bürgermeister -
Hochwasserflut 1899
Schreckensherrschaft der Mangfall
Als einer der schwärzesten Tage in der Geschichte Kolbermoors ist der 13. September 1899 zu verzeichnen. Durch 14 Tage hatte es unablässig geregnet, in den Bergen lag hoher Schnee, dessen Wasser sich mit dem der Bäche und Flüsse vereinigte, die anschwollen, brausten, brodelten und auszubrechen suchten. Die Mangfall wurde zum brüllenden und tobenden Sturm. Was ihre Fluten greifen konnten, nahmen sie mit: Häuser, Ställe, Bäume, Sträucher, Erde, Vieh und auch Menschen.
An einem Mittwoch brach das Unwetter los, ein Wolkenbruch jagte den anderen. Da und dort an einzelnen undichten Stellen schwappte die tosende, gurgelnde, schmutzig-gelbe Flut bereits über die Dämme. Ein Donnern, Dröhnen und Poltern ließ die Luft erzittern, übertönte den prasselnden, plätschernden, ununterbrochenen Regen. Von der „Wuhr" herunter schossen in ungehemmter Wucht und andauernder Folge die Massen des Wassers in die Tiefe.
Verängstigt und ohnmächtig standen die Kolbermoorer der entfesselten Naturgewalt gegenüber, bis auf die Haut durchnässt und bangen Herzens sahen sie dem makabren Schauspiel zu. In den Häusern an der Oberen und Unteren Mangfallstraße wurden die Wohnungen in den Erdgeschossen geräumt, die Einrichtungsgegenstände in die oberen Stockwerke gebracht, die Tiere aus den Stallungen geholt. Wer fliehen konnte, floh mit der eilig zusammengerafften Habe über die 1892 erbaute eiserne Brücke hinauf auf den Glasberg. Viele aber kehrten um, hatten Angst, die schon in ihren Fugen ächzende Brücke zu überschreiten, die schon vor den Wellen unterspült und teilweise überflutet war.
Stunde um Stunde verrann. Es wurde Mittag, es wurde Abend, es wurde Nacht. Pausenlos goss es in Strömen vom Himmel, die Mangfall stieg von Minute zu Minute. Das Wasser überflutete die Dämme, fand ihren Weg durch Wiesen, Gärten und Höfe und ergoss sich ungehemmt in die Straßen. Viele Häuser waren vom Wasser umgeben, von der Außenwelt völlig abgeschnitten. Doch die Mangfall stieg höher und höher, wollte sich wohl dafür rächen, dass sie Jahre zuvor gezähmt und in ihr Bett gezwungen wurde.
Von Westen her klang ab und zu das Wimmern einer Kirchenglocke, die ihre warnenden Töne weit über das gefährdete Land ertönen ließ. Schreckensbotschaften aus Nachbarorten gingen von Haus zu Haus. Der Zugverkehr von Rosenheim nach Holzkirchen wurde unterbrochen, die Gleise waren überschwemmt. Vom Bahndamm bis zur Staatsstraße war der ganze Ort ein schmutzig-gelber See. Um Mitternacht nahte die Katastrophe: Unter Klirren, Krachen und Barsten versank die eiserne Mangfallbrücke in de reißenden Fluten. In letzter Minute gelang es noch Geheimrat Carl Jordan, später Ehrenbürger von Kolbermoor, Direktor der Spinnerei, acht Kinder vor dem Ertrinken zu retten. In den Häusern längs der Mangfall schoss Wasser durch die Fenster, durch die eingedrückten Stuben- und Haustüren wieder ins Freie. Die Patienten des Krankenhauses wurden aus dem Erdgeschoss in höher gelegene Räume verlegt.
Am 14. September hörte gegen 8 Uhr der wochenlange Regen auf, die Wolken verzogen sich. Von Prien, wo Pioniere aus Augsburg im Katastropheneinsatz standen, kamen 100 Mann nach Kolbermoor. Sie brachten Pontons mit und richteten einen Notverkehr zwischen Kolbermoor und der „Viehwoad" ein, wie der Ortsteil jenseits der Mangfall damals hieß, und sicherten unterspülte Häuser vor Einsturz ab.
Am 15. September brach der linke Mangfalldamm in der Nähe des Friedhofes. Dort schossen die Wasser mit aller Wucht durch die zusehends größer gewordene Bresche. Ehe zehn Minuten vergangen waren, waren Friedhof und Alleebäume in den schäumenden Fluten versunken. Doch am kurz vorher erbauten „Textorhaus" am Kanal (Friedrich-Ebert-Straße) stießen sie auf erbitterten Widerstand: Alles was Hände und Füße hatte, eilte herbei, rammte Pfähle ein, türmte Sandsäcke und Steinbarrikaden auf. Nach zähem, verbissenem Kampf gingen die Kolbermoorer in der Auseinandersetzung mit der Naturgewalt als die Sieger hervor.
Zehn Tage währte die Schreckensherrschaft der Mangfall. Dann aber sank der Wasserspiegel rasch. Die Felder aber waren verschlammt und vermurt, die Straßen aufgerissen und voll riesiger Löcher. Wiesen und Gärten hatte das Wasser weggeschwemmt und viele Häuser ihres Rückgrates beraubt – doch keines war eingestürzt und kein Menschenopfer zu beklagen.
Quelle: Chronik Kalhammer
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Gedicht von Kolbermoor
„Kolbermoor" – Gedicht von Franz Jedlitzka
Kolbermoor, du Pforte zu den Bergen ach, wie bist du doch so schön
liegst am Mangfallstrand so herrlich
und täglich grüßen uns die Alpenhöh'n.Kinder spielen auf den Plätzen sie singen dabei ein lustig' Lied
Vöglein zwitschern auf den Ästen
die Sonne uns einen schönen Tag beschied.Der Wendelstein mit seinem Kirchlein so freundlich uns entgegenschaut,
dort, wo die Mangfall fließt als Bächlein,
steht Kolbermoor mit unserm Elternhaus.Einst standen Kolben in den Mooren hier heute steht der schöne Ort,
gar mancher Schweiß ging hier verloren, wo aus blickst zu den Alpen dort.Ja – rührig waren fleißige Hände die Industrien wurden groß,
es bracht Kolbermoor die Wände, das lieblich liegt im Talesschoß.Gar manchen Sturm hast du bestanden mit vielen Nöten, Müh' und Plag',
beherzte Menschen sich hier fanden die emsig schufen Tag für Tag.So stehst du heute lieb und freundlich im „vis-a-vis" vom Alpenkranz,
von außen schon ist da ersichtlich du schöner Markt im Sonnenglanz.Ziehst du hinaus in die weite Ferne talabwärts in ein anderes Land
denkst stets an deine Heimat gerne den herrlichen Ort am Alpenrand.Auch wird dich fassen immer wieder die Sehnsucht nach den Bergeshöh'n,
wirst singen deine alten Lieder von der Heimat und vom Wiederseh'n.Als Fremder, du hier länger weiltest wirst ungern gehen von hier fort,
weil Berg' und Täler die Schönheiten teilten mit ihnen der lieblich genannte Ort. -
Das Eisenbahnunglück 1887
Der Chronist Johann Wipper schreibt über das Eisenbahnunglück vom 26. Juli 1887:
Auf dem Heimweg von der Schule während der Mittagspause sah ich von der Anhöhe des sogenannten „Überlackerberges" aus den von Rosenheim eingetroffenen Postzug entgleist auf den Schienen liegen; er versperrte alle drei Gleise.
Wilde, unkontrollierbare Gerüchte waren in Umlauf im Ort; so von mindestens 50 Toten, Schwer- und Leichtverwundeten und Bereitstellung von geeigneten Räumen. Damals hatte ja Kolbermoor noch kein Krankenhaus.
Wie war das Unglück geschehen?
Der Wechselwärter (Weichensteller) hatte nach Verlassen des nach Aibling abfahrenden Güterzuges wieder seinen Posten bezogen, das heißt, die Wechsel wenn nötig wieder in die richtige Lage bringen, was vom Stationsvorsteher am Stand der Wechselscheiben festzustellen war. Die obere Schranke und die untere schienengleiche Bahnüberfahrt waren geschlossen. Der Wechselwärter ging noch seinen anderen Dienstverpflichtungen nach (wie Herrichtung der Beleuchtungskörper für den Nachtdienst und so weiter).
Mittlerweile hatte der Vorarbeiter vom Tonwerk (später Platzmeister genannt) von dem Betriebsbeamten der Station kurz vor dem Abläuten des von Rosenheim abgehenden Postzuges die Erlaubnis erhalten, den vom Güterzug auf dem ersten Gleis zurückgelassenen und mit Ziegeln beladenen Wagen in das Abstellgleis des Tonwerks abschieben zu dürfen. Weder der Bahndienstleiter noch der Vorarbeiter haben den Wechselwärter von dieser Erlaubnis in Kenntnis gesetzt. Telefon von der Station zu den einzelnen Außenposten gab es damals noch nicht.
Als der Postzug, von Rosenheim kommend an der unteren Kurve in Sicht war, wollte der mit Horn und Signalfahne ausgerüstete Wechselwärter sich, wie es Vorschrift war, zu dem Wechsel begeben, wurde aber abgelenkt durch den Anblick von zwei zwischen den Gleisen spielenden Kindern bei dem etwa 40 Meter entfernten östlichen, schienengleichen Bahnübergang (Flurstraße). Der Anblick der beiden spielenden Kinder hatte zur Folge, dass es der Wechselwärter unterließ, sich vom Stand der Weichen zu überzeugen. Er lief auf die beiden Kinder zu. Der fünfjährige Knabe lief, als er den Wechselwärter auf sich zukommen sah, davon. Das vierjährige Mädchen musste vom Gleis weggeführt werden, ehe es von der herankommenden Lokomotive erreicht wurde.
Durch mehrere Warnsignale mit der Dampfpfeife versuchte der Lokomotivführer den Wechselwärter auf den falschen Stand der Weiche aufmerksam zu machen (bei richtigem Stand zur Geradeausfahrt war eine weiße Milchglasscheibe an der Weiche zu sehen. Bei falschem Stand war die weiße Scheibe nicht zu sehen).
Dem Wechselwärter war es nicht mehr möglich, die Weiche noch vor der Lokomotive zu erreichen. Die Maschine, der Tender und ein Waggon hatten die Weiche schon passiert, als der Wechselwärter in der Verwirrung die Weiche gleich zweimal zog. Das hatte zur Folge, dass die dem ersten Waggon folgenden Waggons mit Ausnahme der letzten zwei des Zuges aus den Schienen sprangen und entgleisten. Die entgleisten Waggons standen alle schräg, der mittlere war umgestürzt.
Da es damals noch keine Luftdruckbremse gab, sondern nur als Notbehelf die einfache Handbremse, war es dem Lokomotivführer nicht mehr möglich den Zug, der noch in voller Fahrt war, auf der verbleibenden kurzen Strecke noch abzubremsen bzw. zum Stehen zu bringen. Erst der Aufprall auf den beladenen Waggons brachte den Zug zum Stehen und zum größten Teil auch zur Entgleisung.Der Weg, den der Zug auf das dritte Gleis zu genommen hat, bis zum demolierten Wagen, bewies unbestreitbar, dass der Vorarbeiter des Tonwerkes die vorher richtig gestellt gewesenen Weichen nicht wieder in die richtige Lage brachte, sondern sie ließ, wie er sie gestellt hat. Angesichts der bedrohten Kinder, Haftpflicht und Gefahr, war es dem Wechselwärter nicht zu verdenken, dass er in dieser plötzlich veränderten Lage verwirrt wurde und etwas tat, was das Unklügste war, das er tun konnte, nämlich die Weichen zu stellen, als sie eben vom Zuge passiert wurde.
Welches waren nun die Folgen?
Ein Lehrer aus Sachsen hatte sich durch das Einschlagen der Fenster die Pulsader verletzt, ein anderer Herr aus München trug eine Kopfverletzung davon. Drei weitere Reisende hatten leichte Schnittwunden und Prellungen davongetragen.
Die Verhandlung im Mai 1888 am Landgericht Traunstein ergab Folgendes:
Das Gericht stellte sich völlig auf den Standpunkt der Bahnvorschrift: „Der Wechselwärter ist verantwortlich für den von ihm zu beaufsichtigenden Wechsel!"
Weder der Umstand des nachträglich gezogenen Wechsels durch den Vorarbeiter, noch die
Rettung der Kinder fielen bei der Beurteilung des Unglücks von Seiten des Gerichts ins Gewicht. Die ganze Schuld blieb am Wechselwärter haften. Während alle anderen Mitangeklagten freigesprochen wurden, verurteilte man den Wechselwärter zu einer kurzen Haftstrafe, suspendierte ihn vom Dienst und pensionierte ihn. Auch wurde er zur Tragung der Kosten verurteilt. Später erließ man ihm die Hälfte der Kosten.Kolbermoor, den 20. Mai 1937 Johann Wipper
Quelle: Chronik Kalhammer
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Die Spinnerei wird gebaut
Im März 1861 wird es in der bisherigen Mangfallwildnis lebendig. Handwerker, Bautechniker und Handlanger treffen ein, Baracken und Bauhütten werden aufgestellt und Baumaterialien angefahren. Im Akkord wird das Baugelände gerodet, planiert und gefestigt. Zur gleichen Zeit auch die umfangreichen Wasserbauten in Angriff genommen. Von der Wuhr bis zur Schwaige erhält die Mangfall ein neues Bett in einer Länge von 2,7 km. Ein ebenso langer Kanal wird parallel zu dem neuen Flussbett gebaut. Ferner noch das Wehr mit Kiesschleuse. Auch mit dem Bau des Turbinenhauses beginnt man. Neben diesen Arbeiten entsteht noch eine hölzerne, auf steinernen Widerlagern und zwei Pfeilern ruhende Mangfallbrücke und eine ebenfalls hölzerne Kanalbrücke. Durch einen Straßenbau wird die Verbindung mit der Staatsstraße hergestellt. Das Hauptgebäude, 226 Fuß lang, 113 Fuß breit und 93 Fuß hoch (ein Fuß = 30 cm) mit einer Anzahl Nebengebäude wächst buchstäblich aus dem Boden. Im Januar 1862 ist alles unter Dach. Dabei baut man auch noch die sechs Häuser. Am 06. August kann schon der Wassereinlass in den Kanal vorgenommen werden, im September ziehen 36 Arbeiterfamilien in den sechs Häusern ein, die Gasanstalt wird gebaut. Im Juli ist die erste Baumwollbestellung hinausgegangen und im Herbst werden die ersten Maschinen aufgestellt, die noch vor Jahresende anlaufen.
An 400 Menschen haben dies alles innerhalb von zwei Jahren geschafft. Eine gewaltige Leistung, wenn man bedenkt, dass alles mit der Hand gemacht werden musste. Es gab damals noch keine Bagger und Betonmischmaschinen, keine mechanischen Aufzüge, Benzolloks und Lastkraftwagen. Auch noch keinen Elektromotor.
Im Januar 1863 kommen die ersten 10.000 Spindel, im Juli die zweiten 10.000 Spindel und im Oktober die dritten 10.000 Spindel in Betrieb. Und mit dem 01. Oktober 1863 beginnt auch die kommunale Geschichte der Arbeitersiedlung Kolbermoor = 15 Häuser mit 57 Familien und 400 Einwohner.
Quelle: Chronik Otto Kalhammer
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Wie es zum Spinnereibau kam
Zur gleichen Zeit, als Cormeau seine Torfgründe an Merkel u. Co. verkaufte, kaufte der Rosenheimer Steinmetzmeister Willibald Schmied neben Merkel Torfgründe sowie Mangfallgründe auf, um sie dann gleich wieder an Theodor Graf von Lodron-München und Baron Greiner aus Regensburg zu verkaufen, die hier auf eigenem Grund und Boden der Jagd nachgehen wollten.
Laut einer Notiz im Gemeindearchiv von Mietraching aus dem Jahre 1861 betrug der von den beiden Herren versteuerte Grundbesitz 248 Tagwerk 6 Dezimal, zu dem man noch den vom Grafen von Lodron an die Aktiengesellschaft Baumwollspinnerei Kolbermoor von 125-130 Tagwerk für den Spinnereibau verkauften Grund dazurechnen muss, um sich von dem Grundkauf von 1859 ein Bild machen zu können.Graf Theodor von Lodron machte – wann, lässt sich nicht feststellen – im Jahre 1860 den Ingenieur Theodor Hassler von der Maschinenfabrik L. A. Riedinger in Augsburg auf die Wasserkraft der Mangfall aufmerksam. Hassler kam nach Kolbermoor und sah sich die Mangfall an, vermaß sie und errechnete eine effektive Nutzkraft von ständig 1200 PS. Er, der schon mehrere große deutsche Spinnereien eingerichtet hatte, beschloss, hier in Kolbermoor eine Spinnerei zu erbauen, da noch viele günstige Umstände hierfür neben der Wasserkraft vorhanden waren. So die Bahn, der Torf, das nahe Österreich und der Mangel an Spinnereien in Süddeutschland, der die süddeutschen Webereien zwang, ihren Garnbedarf für teures Geld aus England zu decken.
Hassler hatte vor, die Spinnerei oben bei der Ghersburg, wo die Mangfall damals ziemlich gerade verlief, erstehen zu lassen, musste aber dann über drei Kilometer weiter östlicher gehen, weil der hochlöbliche Magistrat des nun schon seit 1844 bestehenden Moorbades Aibling wegen seiner Kurgäste keinen Fabriklärm und Zuzug von Arbeitern haben wollte. Nach Augsburg zurück gekehrt, machte sich Hassler sofort ans Planen und Rechnen, sah sich nach Finanzleuten um und legte diesen, nachdem er sie in Augsburg und München gefunden hatte, einen fix und fertigen Plan zu einer großen Spinnerei vor. Einer dieser Finanzleute, Regierungsbaumeister Rulandl wurde beauftragt, eine neuerliche Vermessung der Mangfall vorzunehmen, die im Herbst 1860 stattfand. Im November fand dann in München die Gründung der Aktiengesellschaft Baumwollspinnerei Kolbermoor statt. Unter den Aktionären, es waren 1.131.000 Gulden gezeichnet worden, befand sich auch Graf Lodron, der für den Fabrikbau 125-130 Tagwerk Grund für 93.000 Gulden verkaufte, ein Bombengeschäft, wenn man bedenkt, dass man zur damaligen Zeit das Tagwerk Torfgrund und Mangfallgrund für einen Papenstiel haben konnte. Die Bauern benützten die Filze zumeist nur als Streumahd. Manche Bauern gaben das Tagwerk um den Preis der darauf lastenden Grundsteuer, ja sogar für ein Faßl Bier her.
Die Herrichtung des Baugrundes, der Bau sowie die Regulierung der Mangfall und der Kanalbau wurde der Firma Del Bondio für 500.000 Gulden übertragen. Auch Del Bondio gehörte zu den Aktionären. Nach einer neuerlichen Generalversammlung im Dezember 1860 wurde der Bau der Fabrik für Frühjahr 1861 beschlossen und für dieselbe Zeit Ingenieur Hassler nach England geschickt, um sich dort in den größten Spinnereien etwas umzusehen. Heute nennt man das Industriespionage. Damals fand daran kein Mensch etwas auszusetzen. Im Gegenteil, man war stolz, anderen technische Fortschritte zeigen zu können.
Quelle: Chronik von Herrn Otto Kalhammer
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Der große Spinnereibrand 1898
Im Laufe der Jahre hatte man die Spinnerei durch die Erneuerung fast aller Maschinen auf den modernsten technischen Stand gebracht.Da wurde durch ein ungeheures Brandunglück die mühevolle Aufbauarbeit von über drei Jahrzehnten in wenigen Stunden vernichtet.
Am 26. November 1898, um 7.30 Uhr morgens, brach im vierten Stockwerk aus nie geklärter Ursache Feuer aus. Durch die riesige Menge leicht brennbarer Stoffe scheiterten alle Versuche das Feuer rechtzeitig zu löschen. Eine Rettung des sechsstöckigen Hauptgebäudes war gänzlich ausgeschlossen, so konnte man nur versuchen alle Menschenleben zu retten. Dies wäre auch gelungen, hätte nicht ein Spinnereiarbeiter, trotz aller Warnungen, seine „Uhr" aus dem brennenden Gebäude zu retten versucht, und wurde so ein Opfer der Flammen.
Nur dem tatkräftigen Einsatz von 26 Feuerwehren aus Kolbermoor und Umgebung war es zu verdanken, dass ein weiteres Übergreifen der Flammen auf das Batteurgebäude, das Baumwollmagazin, die Gasfabrik, Schule und Kirche verhindert wurde. Nach nur 1 ½ Stunden war das Spinnereigebäude bis auf die Grundmauern ausgebrannt, der Brand im Innern schwelte noch wochenlang fort.
Bereits zwei Tage nach dem Brand hatte sich der gesamte Aufsichtsrat in Kolbermoor eingefunden und beschloss einstimmig den unverzüglichen Wiederaufbau des Spinnereibetriebes.
Außerdem stellte die Direktion eine Summe von 50.000 Mark zur Verfügung, um die bei den Aufräumungsarbeiten beschäftigten Arbeiter wenigstens mit dem halben Wochenlohn zu unterstützen.
Der Aufsichtsrat einigte sich dahin, keinesfalls mehr ein sechsstöckiges Gebäude, sondern zwei von einander unabhängige Komplexe zu errichten. Trotz erheblicher Mehrkosten wurden diese Maßnahmen getroffen, um bei einer neuerlichen Brandkatastrophe die Produktion durch Tag- und Nachtbetrieb ohne Einschränkungen aufrecht zu erhalten.
Ohne Verzögerungen wurde mit den Aufräum- und Neubauarbeiten begonnen. Leider wurden die Arbeiten durch die Hochwasserkatastrophe 1899 erneut zurückgeworfen. Aber bereits 18 Monate nach der Feuersbrunst konnte die Spinnerei wieder voll in Betrieb genommen werden.
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Wie Kolbermoor zu seinem Namen kam
Im Jahre 1858 kam ein Belgier namens Jean Cormeau in diese Mangfallwildnis und kaufte da, wo heute das Tonwerk steht, Torfgründe für billiges Geld zusammen. Er hatte im Sinn, Torf für Heizzwecke stechen zu lassen und durch dessen Verkauf Geld zu verdienen. An der Stelle, wo sich heute im Tonwerk das Litzelfelderhaus befindet, baute er ein kleines Häuschen für seine Hand voll Torfstecher. Die Torfstecherei schien ihm aber nicht genug gewinnbringend zu sein, denn bereits im darauf folgenden Jahre 1859 verkaufte er seine Torfgründe wieder und zwar an eine anonyme Aktiengesellschaft Merkel & Co. aus Nürnberg, die noch im gleichen Jahre ein Dampf-Preßtorfwerk erbaute und in Betrieb nahm. Diese Fabrik bestand aus einem Maschinenhaus, dem Pressenhaus, einem Häuschen für den Verwalter und drei Trockenscheunen, dazu kam noch 1862 ein Wirtschafts- und Ökonomiegebäude sowie ein Haus für den Betriebsleiter, das noch heute steht, das Litzelfelder Haus im Tonwerk. Ihm hat das von Cormeau für seine Torfstecher erbaute Häuschen weichen müssen. Sonst ist vom Torfwerk Merkel heute nichts mehr vorhanden.
Die Erzeugung des Preßtorfes war an der heutigen Torffabrikationsmethode gemessen, äußerst primitiv. Mittels einiger Pflüge wurde der Torfboden nach seiner Rodung aufgeackert und die Ackerkrumme zusammengerecht und in die drei Trockengerüste gefahren, von wo aus dann nach genügender Abtrocknung der Torf in die Pressen wanderte. Es waren über hundert Menschen, die hier ihr Brot fanden, von denen der größte Teil in der Filze beschäftigt war.
Hauptabnehmer der Produktion war die Bahn. Erzeugt wurden täglich 1 bis 2 Waggon Preßtorf in Gestalt von faustgroßen Klumpen. Man versuchte sich um 1862 herum auch in Torfkohle, einem Gemisch aus Torf, Sägemehl und Kohlenstaub. Die Torfknödel fanden aber bei den Abnehmern wenig Anklang und man gab deren Produktion wieder auf.
Die Eisenbahn als Hauptabnehmer sah sich, um schneller und in größerer Menge als es Fuhrwerke schaffen konnten, zu dem Torf zu kommen, veranlasst, ein Verladegleis zu bauen, das auch einen Weichensteller notwendig machte. Für diesen baute die Bahn das kleine Häuschen, das heute noch zwischen Bahnhof und Tonwerk steht und in dem auch der erste wirkliche Kolbermoorer geboren wurde.
Merkels Arbeiter hatten, da sie aus der weiteren Umgebung stammten, einen weiten Anmarschweg zur Arbeit, der sich bei der damaligen 12-14stündigen Arbeitszeit schädigend auf die Gesundheit auswirkte, so dass die Bahnverwaltung sich entschloss, gegenüber der Merkelschen Fabrik eine Haltestelle einzurichten, aus dem Gedanken heraus, dass der ersparte Anmarschweg der Produktion von Torf zugute kommen musste. Mit Wirkung vom 15. September 1859 wurde dies Tatsache. Es hielten aber nur die Güterzüge mit Personenverkehr. Man nannte diese Haltestelle „Kolbermoor", weil sie dem von der Firma ausgebeuteten „Kolbermoor" gegenüber lag. Dieses „Kolbermoor" hat seinen Namen von dem zwischen Harthausen bzw. Ellmosen und Großkarolinenfeld liegenden Weiler Kolber, genannt „Schmied am Kolber" und es war damals damit der ganze Moorkomplex zwischen Fürstätt und Aibling und zwischen Kolbermoor und Großkarolinenfeld gemeint. Die Namensaufteilung dieser großen Moorfläche in Karolinenfelder-, Heufelder-, Harthauser-, Salinenfilze und Moorkultur erfolgte erst viel später und nach und nach.
1863 wurde aus der Haltestelle der Bahnhof Kolbermoor mit Bahn- und Postexpedition und Lagerhalle und in den Jahren der Hochkonjunktur der Torferzeugung kam noch der Ladehof dazu, der heute vereinsamt ist.
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„I mecht so gern Bürgermoaster werdn”
Es war oamal a kloaner Bua,
der lasst sein Vatern nia a Ruah;
„Papa", sagt er; „i mecht gern oamal Bürgermoaster werdn!
Des Amterl war für mi grad recht,
mitn Mundwerk bi i eh net schlecht,
s'Grüaßn fallt ma ah net schwa
und viel versprecha kann i ah!
Moanst Papa", moant naiv der Bua,
„is des fürn Bürgermoaster gnua?”Der beitlt schmunzelnd grad sein Kopf:
„Ja, liab is er, mein kloana Tropf!”
„Du Pepi", sagt er, „horch guat her,
zun Bürgermoasterwerdn ghert mehr:Zerscht brauchst oamal a Großpartei, vo de gibt's zwoa,
der Jörg sagt drei,
du meldest di überall glei an
und schaust a wenig, dann siahgstas scho:Is wo a Alter vorn und obn,
dann derfstn überhaupt ned lobn,
denn durchs Lobn wird's nur schlechter, und nur Sesslpicka mecht er.Is er aber nuh hübsch jung,
dann bremsn halt a wenig sein Schwung, und hau eahm Prügl unter d'Füaß,
doh untern Gsicht da tuast recht süaß.Red nia dagegn, sag nur ja,
und wia er krank wird, löstn a(b).
Dann bist du der große Macher,
doh dann, mei Bua, hast nix zun Lacha:Dann muaßt vül megn und derfst nia spinna, jahraus,
jahrein muaßt rechthabn kinna,
muaßt fast ois wissen, ois verstehn,
jeden Sonntag brav in d Kircha gehen,
für d Wochatag an Anzug kaufn,
d Feuerwehrler abisaufn,
d Musi zahln, d Musi lobn, wanns a Jahr und Tag net probn.Beim Grundzammlegn muaßt fest vermitteln,
d Händ oft hergebn, recht lang schütteln,
Pokale spendn, Liter zahln,
bei jeder Leich a Ansprach haltn, im Bierzelt d Musi dirigiern,
jeds Wiesnsteigerl asphaltiern,
nach verlorne Wahl net fluacha,
d Schuid grad bei de andern suacha,
auf de Bälle so lang tanzn,
bis deine Lackschuach nimmer glanzn,
d Gemeindezeitung selber macha,
vo jeder Seitn obalacha,
Hausbesuche net vergessn,
Stamperl tringa, Bunkl essn,
Vereine fördern, d Musi gwandn,
um jeds Millibankl rantn,
mitn Pfarrer Jahr und Tag net z'kriagn,
de Grean und Kommunistn biagn,
Forstweg baun und Schuin errichtn,
de Gegner oft was auffidichten,
Kircha, Pfarrhof renoviern,
für jedn Fliagnschoaß intressiern,
Kleintierzüchter unterstützn,
jedn Käfer und jeds Graserl schützn,
Löschfahrzeuge bstölln und zahln, viel versprecha,
nu mehr haltn, Straßn baun, kanalisiern,
zum Geburtstag gratuliern,
Kranke bsuacha, Muat zuasprecha,
jedn zweitn Tag wo Eintritt blecha,
deine Feinde freindli grüaßn,
d Wocha zwoamal Sprechtag haltn,
Zeitung austragn vor de Wahln,
s Schwimmbad aufsperrn, a wenns schneibt,
und außern Defizit nix bleibt.Stammtisch bsuacha, Halbetringa,
an Sondermüll zu andre bringa,
mit de Baun de Regierung schimpfn,
de Bundesbahner Streß einimpfn,
jedn Gemeinderat verteidign,
und nia an Sekretär beleidign,
über Ortsgerüchte lacha
und a ganz Jahr Schuildn macha!Des, liaba Pepi, des muaßt kinna,
und auf nix und neamd dearfst spinna!”Da hat der Pepi ganz verzagt und kloalaut zu sein Papa gsagt:
„Papa, des is nix für mi,
da streb i auf was anders hin:
Da werd i Tischler oder Lehrer, Postler oder Rauchfangkehrer,
da kann i schwarz sei, blau und rot,
hab koan Verdruß und kenn koa Not,
bin a bei jeder Großpartei,
bin net gebundn, voglfrei,
scheich koa Wahl und fürcht koan Wähler,
und koa Mensch zählt meine Fehler!”So hat er gsagt, so hat er tan, is heit a angesehner Mann,
sei Frau hat eahm an Buam geborn,
und der is Landeshauptmann wordn. -
Mit der Spitzederin Glück gehabt
- Über die Entstehung von Straßennamen in der Stadt Kolbermoor -
Straßenbezeichnungen und Hausnummern gibt es in Kolbermoor erst seit den Jahren 1882/1883. Damals wurden die Hausbesitzer aufgerufen, sich bei der Gemeindeverwaltung an einem bestimmten Tag die Straßenschilder und Haustafeln abzuholen. Straßen und Dorfwege vor dieser Zeit wurden von den Alt-Kolbermoorern aufs Geratewohl bezeichnet. So auch die heutige Glückstraße, die damals „Spitzeder-Gaßl” hieß. Da wohnten nämlich drei Kolbermoorer, die bei der „Dachauer Bank” der Adele Spitzeder in München ihr Geld angelegt hatten. „Der hohen Zinsen wegen”, sagten sie.
Anno 1886 ist die Spitzederin gestorben. Sie war eine aus Wien stammende Schauspielerin, eine Tragödin, die nicht viel Erfolg hatte und schließlich, um aus ihren Verbindungen möglichst viel Kapital herauszuschlagen, eine Bank aufmachte. Sie versprach ihren Kunden hohe Zinsen und hielt zum Teil auch ihre Zusagen. Es gab viele, die ihr glaubten und ihr ganzes Geld zur „Dachauer Bank” brachten, so dass dort eine Geldschwemme entstand, der auch Adele Spitzeder nicht mehr Herr zu werden vermochte. Das führte nach einiger Zeit zum Zusammenbruch der Bank, Aufzeichnungen über die Einlagen waren nicht geführt worden. Das Geld vieler Einleger war verloren.
Unter den Kolbermoorern, die ihr Geld der „Dachauer Bank” anvertraut hatten, war auch Susanne W. Sie hatte in der damaligen Preßtorffabrik Merkel und Cie. einen Unfall erlitten und ihre Abfindung bei der Spitzederin angelegt. Als sie aber erfuhr, dass es bei ihrer Bank bergab gehe, zog sie ihr Geld wieder ab. Sie erhielt es auf Heller und Pfennig zurück. Mit dem Geld erwarb sie das „Schrankhäuschen” in der heutigen Glückstraße 5.
Auch zwei andere Kolbermoorer Bürger, die ihr Geld bei der Spitzederin angelegt hatten und von Susanne W. gewarnt worden waren, erhielten ihr Geld zurück. Einige Tage später war in den Zeitungen zu lesen, dass die Adele „pleite” gemacht habe. Die Freude bei den drei Kolbermoorern, die noch fünf Minuten vor 12 Uhr zu ihrem Geld gekommen waren, war übergroß. Seitdem gibt es in Kolbermoor die Glückstraße.
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A Burgamoasta muss a Hirn haben
Ein liebenswürdiger Kauz muss Kolbermoors erster Bürgermeister Johann Ritsch gewesen sein. Werden doch von ihm einige nette Anekdoten berichtet.
Eine davon ließ er vom Stapel, als seine Amtszeit (1863-69) beendet war und er von seinen Mitbürgern gedrängt wurde, „weiterzumachen”. Da er sich aber Würde und Bürde nicht noch einmal aufhalsen wollte, lehnte er energisch, aber humorvoll das Ansinnen mit den Worten ab: „Wenn oana jetzt den Burgamoasta machen soll, nacha muaß er aa a Hirn hab'n, net bloß a Gnack”.
Bestimmt hatte Ritsch das für sein Amt notwendige „Hirn" gehabt, sonst wäre er wohl zu diesem klassisch anmutenden Zitat kaum fähig gewesen. Er hatte nicht nur das Herz am rechten Fleck, sondern auch das Hirn, das eben ein Bürgermeister haben muss – damals wie heute!
Ihm stand aber auch einer seiner Freunde nicht nach, der Mesner Schmid, der zu den ersten Einwohnern Kolbermoors zählte. Er war zwar katholisch, aber kein Eiferer, der die Andersgläubigen, die sich angesiedelt hatten, am liebsten am Spieß gebraten hätte. Er war vielmehr ein urgemütliches „Haus” und sagte sich, dass der Herrgott schon wissen werde, wer recht oder unrecht tue.
Einer seiner im Volksmund heute noch oft zu hörenden Kernsprüche, die er gerne bei Beerdigungen losließ, lautete: „De Guatn genga und de Luada bleib'n da.” Er wollte damit sagen, dass die anständigen Menschen sterben und die Spitzbuben zu lange lebten.
Klingt aus den Worten dieses Mannes nicht Großzügigkeit und Versöhnlichkeit, wenn er zu seinem „Konkurrenten von der anderen Fakultät”, dem evangelischen Mesner Metzger in aufgeräumter Stimmung einmal sagte: „Woast Spezi, den richtig'n Glaub'n hab zwar i, die noblichan Kindstauf'n aber hast du!” Das war auf die Kinder vornehmer Herrschaften gemünzt, die damals die Spinnerei „regierten”.
Wie man immer über die beiden Kolbermoorer Originale auch denken mag: Der Bürgermeister und der Mesner waren urwüchsige Altbayern, denen ihre Zeitgenossen zugetan waren. Sie lebten in einer Zeit, die gerne die „gute, alte Zeit” genannt wird, in der auch noch der Humor zu seinem Recht kam. Kein Wunder, dass ihre Aussprüche am Wirtshaustisch die Runde machten, an dem sich die alten Kolbermoorer gerne aufhielten. Damals gab es ja noch keine „Pantoffelkinos”, die allmählich dem gesellschaftlichen Leben den Garaus machten. Es störten sie auch keine Flugzeuge, die über die Dächer hinwegbrausen, keine Autos, die durch die Straßen rasen, wenn sie bei einer Petroleumfunzel ihr Abendessen einnahmen.
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Die Rabenmutter von Kolbermoor
Aus den Jahren 1885 bis 1895 bringt der ehemalige Spinnereiprokurist Albert Loher, nach dem in Kolbermoor eine Straße benannt ist, in seinen Aufzeichnungen, die Chronist Johann Wipper überlieferte, eine Geschichte über die „oahandlate Marie”, die damalige Postbotin der Spinnerei. Sie zählt zu den merkwürdigsten Persönlichkeiten des alten Kolbermoor, die ihrer Eigenart wegen unvergessen bleiben sollten.
Die „oahandlate Marie” war, wie schon ihr Spitzname besagt „einhändig”; einem ihrer Arme, an welchem wird nicht berichtet, fehlte die Hand. Viermal täglich hatte sie als Postbotin des Werkes die Post zur Bahnstation zu bringen, wo sich damals auch das „Postexpedit” befand. Auf ihrem Wege kam die Marie am alten Pumpbrunnen vorbei, der damals vor dem Spinnerei-Meisterhaus stand und dessen Bewohner mit frischem Wasser versorgte.
Die Geschichte, die Loher erzählt, trägt sich zur Winterzeit zu, in der die Zäune und Pfähle der Anwesen weiße Käppis trugen und in der die mächtigen Kastanienbäume, wie Rekruten zur Parade ausgerichtet, in zwei Reihen in der Haßlerstraße standen und bis in die höchsten Spitzen und Knospen hinaus wie mit weißer Watte bedeckt waren. Der hölzerne Pumpbrunnen, der in der Geschichte eine Hauptrolle spielt, hatte sich mürrisch eine Schneemütze schief ins Gesicht gezogen. Er war den Kolbermoorern ohnehin gram, weil sie ihn schon länger verdächtigten, er trinke die Wasser des Bahndamms, die als giftig verschrien waren.
Nur eine einzige Menschenseele ist dem Brunnen treu geblieben. Sie, das „oahandlate Mariele”, ließ ihn, den einsam gewordenen und gemiedenen Gesellen, nicht allein. Auch nicht an dem Morgen, an dem die Haßlerstraße einsam und still dalag und in ihren Bäumen nur etliche Raben krächzten und mit schwerem Flügelschlag um die Wipfel kreisten. Ihre Artgenossen, die droben im Schillerwald auf den Tannen saßen, sahen sie und schon stieß die ganze Schar im Sturzflug herab und bemächtigten sich lärmend der Kastanienbäume. Gar seltsam gebärdeten sich die schwarzen, sonst so zaghaften und scheuen Vögel.
Da löste sich vom Güterschuppen am Bahnhof eine schwarz gekleidete Frauengestalt, kam watschelnden Schrittes langsam durch den hohen Schnee und betrat die Kastanienallee. Wie wütend stürzten sich die Rabenvögel auf das alte Mutterl und flatterten wie eine schwarze Wolke über die Frau hin. Sie flogen hinauf auf die Gipfel, vor und hinter ihr, hüpften sittsam am Boden und ließen sich wie zahme Tauben von der „Rabenmutter” füttern. Es störte das Rabenvieh auch nicht, als von Lohholz her eine Rotte Kinder gezogen kam, die Hände zum Wärmen in den Taschen vergraben, die Wollmützen über den Ohren und die Schulranzen auf dem Rücken. Im Gänsemarsch stapften sie durch den tiefen Schnee zur Schule. Des Weibleins gewahr geworden, riefen sie schon von weitem: „Oahandlate Marie, oahandlate Marie!” Doch sie hatte heute keine Zeit für die Kinder. Um die Wette keifte und schnatterte sie mit ihren Raben, die sie immer wieder umringten und anbettelten.
„No, du Gschroamäu, du wüaschts”, schalt sie den einen, der ihr den Brotbrocken laut krächzend und schreiend aus der Hand riss; die schwächeren Tiere aber, die sich um die Reste balgten, lockte die „Rabenmutter” mütterlich an sich und warf ihnen Brotstücke zu. Mit ihrem schwarzen Kopftuch, dem dunklen Jäckchen, dem weiten, faltigen, schwarzen Rock hob sie sich wie eine Silhouette vom Weiß der Schneelandschaft ab.
Die Postmappe unter dem handlosen Armstumpf geklemmt, hielt sie Brotzeit mit den Raben und stapfte dabei in ihren riesigen Männerstiefeln gelassen durch den tiefen Schnee, stattete dem verfemten Pumpbrunnen einen Besuch ab, hielt ihre Hand an die mit blanken Eiszapfen verhängte Röhre, befeuchtete mit ein paar Tropfen Wasser das harte Brot und nagte daran mit zahnlosem Mund. Dann erst ging die „oahandlate Marie" wieder ihrer Arbeit nach und wanderte langsam in die Spinnerei, um ihre Post abzuliefern und sich mit neuer wieder auf den Weg zu machen. -
„Baumwoll-Toni” und „Tiroler-Ferdl”
Manche Kolbermoorer schwelgen heute noch in der Erinnerung an die „gute, alte Zeit”, wenn sie an ihren Stammtischen im Wirtshaus beisammen sitzen. „Ja mei”, hört man sie da sagen, „des war hoit no a Zeit, wenn's früher mit dene Urviecher zammg'sessen san. Da is oft g'lacht wor'n, dass de Wänd' g'wackelt ham.” Ein bisserl übertrieben ist diese Behauptung bestimmt, doch einige Körnchen Wahrheit sind in diesen Reden schon drin. Es kursieren immerhin über frühere Kolbermoorer einige handfeste Geschichten, die heute immer wieder aufgefrischt werden und die Brüder am Wirtshaustisch zum Lachen bringen.
Ein guter Nährboden für diese Originale scheint die Aiblinger Au gewesen zu sein. Da war zunächst einmal der Toni Antoni, dann der „g'selchte Hans” und schließlich der „Tiroler Ferdl”. Gerade der Ferdl war noch in den siebziger Jahren ein recht gefürchteter Mann in den umliegenden Wäldern. So kam es, wie es auf gut kolbermoorerisch hieß, „dass ihm der Schmarrn auf'm Tisch verfault ist”. Auf deutsch soll das besagen, dass die Polizei, die seiner nach langem Suchen habhaft geworden war, keinen Pardon kannte und den Ferdl vom Mittagstisch weg verhaftete und einlochte.
Zwei ganz durchtriebene Burschen, die auch zuerst in der Aiblinger Au wohnten, dann aber sich in den Ortskern von Kolbermoor „verzogen”, „wei's da vom Gericht weida weg war'n”, waren der „Baumwoll- Toni” und sein Spezi, der „Hammerl Hansgirgl”. Im Hause vom Toni wurde Garn gesponnen, weshalb er diesen Spitznamen durch sein ganzes Leben mitschleppen musste. Er und der Hansgirgl standen ihrer teils heiteren, teils ernsten Gauklereien wegen ständig mit den Behörden auf dem Kriegsfuß.
Der Girgl bekam seine ersten „Bußen” ab, als noch die Prügelstrafe gang und gäbe war. Hatte er sein Quantum erhalten, hatte er nichts Eiligeres zu tun, als ins Wirtshaus zu laufen und seine vermeintlichen Heldentaten an den Mann zu bringen. Dass er sich aufs Ausschmücken und Übertreiben verstand, war bekannt. Einmal, so geht die Fama, soll er dem Gerichtsdiener, der ihm 15 kräftige Hiebe auf den Allerwertesten verpasst und nach dieser ungewöhnlichen Anstrengung eine Verschnaufpause eingelegt hatte, patzig gefragt haben: „Wos is, pfeifst scho aus'm letzten Loch, weilst nimma zuahaust?”
Ein andermal stand er wieder vor dem Amtsrichter in Bad Aibling und führte sich recht lackelhaft und frech auf. Als dann durch den Richter persönlich der „Watschenbaum” umgefallen war, verbat er sich energisch derartige Späße mit unverschämten Worten, bis auch seine andere Wange die fünf Finger des Richters zu spüren bekommen hatte. Da aber lief dem Girgl „die Gall über". Er schubste den „gestrengen Herrn” gegen den wackeligen Ofen des Amtszimmers, der zu Bruch ging und jagte zur Tür hinaus. Gerichtsdiener und zwei Gendarmen hinterdrein. An der Glonn erst holten sie den Flüchtling ein. Der aber hatte, wie er später berichtete, eine „soichane Stinkwuat”, dass er seine drei Verfolger allesamt mit einem Stoß in die Glonn warf. Sein Pech dabei aber war, dass er von ihnen mit hineingerissen wurde. So wanderte er aus den kühlen Fluten für zwei Jahre ins Kittchen nach Laufen.
Auch im Kolbermoorer Gemeinderat saßen vor rund 100 Jahren Männer, die dem tierischen Ernst feind waren. Da wird in der Chronik als ein Original besonderer Art der „Gachermartl" genannt, der mehrere Jahre im Gemeinderat saß. Zwei seiner Ratskollegen standen ihm zur Seite, wenn es galt, Vorschriften zu überspringen, deren Berechtigung die drei nicht einsahen. Es waren dies der Brückenwirt Cornelius Preis und der Krämer Michael Steck. Die Chronik erzählt, dass es damals sehr schwierig für junge Paare war, die Heiratserlaubnis von der Gemeinde zu erhalten. Die finanziellen Verhältnisse mussten gesichert sein. War das Geld nicht da, konnte nicht geheiratet werden. Die drei Ratsherren aber drückten bei der Abstimmung im Gemeinderat des Öfteren zwei oder besser sechs Augen zu, um den heiratslustigen Jungen zu ihrem Eheglück zu verhelfen. Warum sie die Augen zudrückten, kündet ein in der Chronik überliefertes Gedicht:
„Wer beim Steck recht ei'kaft,
beim Preis ois versauft
und am Gachermartl an Brat'n und's Bier zoiht,
der hot bestimmt Hochzeit boid.” -
Der Loamsee
Hinter dem Kolbermoorer Tonwerk gab es einst einen kleinen See, umrahmt von viel Gebüsch und Schilf, den der Volksmund den „Loamsee” nannte, weil das Gewässer nicht ganz sauber, sondern ein wenig „loamig” war. Viele Balken trieben darin herum und auf den Hölzern saßen manchmal Frösche. Auch einen ausgelaugten Torfbrocken sah man ab und zu auf den leisen Wellen schaukeln.
Leute, die auf peinlichste Sauberkeit bedacht waren, wollten in ihm nicht baden. „Do kommst ja dreckata außa aus'm G'wasch, ois wiast einigehst” behaupteten sie. Und die Weiberleut fürchteten sich schrecklich vor den großen Fröschen, die sich, wie sie sagten, „gar zu gruslig und eiskalt“ anfühlten. Andere wieder glaubten dem Gerücht, dass im SeeWasserschlangen ihr Unwesen trieben.
Es gab aber genug Einwohner von Kolbermoor, die anders dachten und denen der Aberglaube nichts anhaben konnte: Sie stellten sich mutig auf die selbstgefertigten Sprungbretter und mit einem „Hupferer” waren sie in den kühlenden braunen Fluten, in denen sie sich „sauwohl” fühlten. Sie hatten es sicherlich nicht schlecht erraten. Denn, ohne dass sie es wussten, war dieses „unsaubere“ Bad für sie eine gute Kur. Der von anderen oft so verachtete „Loamdreck” hatte eine reinigende und heilende Wirkung auf den Körper. Auch heute werden „Moorbäder” von Ärzten gern bei rheumatischen Beschwerden als besonders wirksam verschrieben.
So wurde der „Loamsee” ein echtes großes „Badwanndl” für die Kolbermoorer. Vor allem war er doch der wasserreiche Tummelplatz für Kolbermoors Jugend. Zogen auch die Erwachsenen den Mangfallkanal, die untere Schleuse der Mangfall, den Bernrieder- Weiher in Grubholz und später das städtische Schwimmbad zum Abkühlen vor, so blieb Kolbermoors Jugend lange dem „Loamsee” treu.
Mit Erfindersinn hatten die Kinder ein „Badwanndl“ in den Boden „neigrutscht” und so eine sanft geneigte Rinne geschaffen, die unten im Wasser endete. Auf allen vieren krochen sie auf das obere Ende ihrer „Loamrutschen”, weil die nassen Füsse auf dem glitschigen, graugrünen Boden keinen Halt fanden. „Schaugts her, iatz saus ma obi” riefen die kühnen Land- und Wasserrutscher. Und schon ging's mit Geschrei hinunter in die lehmigen Fluten, so dass es eine geraume Zeit dauerte, bis sie, vom Lehm ganz bedeckt, als „Loammanndln” wieder auftauchten.
Ein tragisches Unglück, das ganz Kolbermoor erschütterte, mag wohl dazu beigetragen haben, dass der noch vor 30 Jahren als Badegelegenheit beliebte „Loamsee” zugeschüttet wurde. Er verschwand so wie der Bernrieder-Weiher in Grubholz, der vom Freischwimmbad mit Kabinen und Kahnbetrieb zum Eisreservoir der Auerbrauerei Rosenheim degradiert wurde.
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Der baumwollenen Herrgott
Kolbermoor ist reich an Originalen, aber auch an Persönlichkeiten, die die kommunale und gesellschaftliche Entwicklung der 1863 ins Leben gerufenen Gemeinde auf Jahre hinaus bestimmten. Einer davon ist der ehemalige Direktor der Spinnerei, Waldemar von Bippen, der von 1874 bis 1896 im Gemeinderat saß und mehr als der Bürgermeister zu sagen hatte.
Den „baumwollenen Herrgott” oder „den lieben Gott von Kolbermoor” nannten ihn die damaligen Einwohner der Stadt und der Bauerndörfer ringsum. Als „graue Eminenz” führte er ein strenges, aber doch korrektes Regiment in der aufstrebenden Gemeinde, die ja von ihm als dem Herrn der Spinnerei auch finanziell abhängig war.
Sein Einfluss war übermächtig: Wer nach Kolbermoor zuziehen durfte, entschied nicht der Gemeinderat. Das hatte sich der Herr von Bippen vorbehalten. Das Bürgerrecht kostete damals 40 bis 50 Mark, ein hoher Betrag für diese Zeit, der nur schwer aufzubringen war. Für Arbeiterfamilien brachte diese Summe eine lange Zeit des Sparens und Darbens. Doch hatte diese „Sperre” auch manch Gutes. Förderte sie doch das von der Spinnerei vertretene Ausleseprinzip, asozialen und arbeitsscheuen Elementen den Eintritt in den Gemeindeverband zu verwehren.
Die Spinnerei, damals Kolbermoors größter Arbeitgeber, sah damals darauf, nur gute und verlässliche Arbeitskräfte zu erhalten. Ihr und der Gemeinde hätte es nichts genützt, wären die nach Kolbermoor drängenden Arbeiter mit ihren Familien dem Gemeindesäckel zur Last gefallen. Die Spinnerei wollte einen sesshaften, disziplinierten und betriebstreuen Arbeiterstamm heranziehen, der ihr einen verlässlichen Nachwuchs über Generationen hinaus sichern sollte. Die Entwicklung späterer Jahre hat auch gezeigt, dass von Bippens Taktik weitschauend und berechtigt war. Sonst hätte es in Kolbermoor nicht eine ganze Anzahl Familien gegeben, deren Vorfahren bis ins dritte und vierte Glied in der Spinnerei beschäftigt waren.
Trotz dieser weisen Voraussicht stimmten viele Kolbermoorer, die ihn nicht verstanden, mit von Bippens Methoden nicht überein. Gab es doch Fälle, die auf Widerspruch stießen. So bekamen Männer, die sich willig zeigten, Spinnereiarbeiter, die genehm waren, von Herrn von Bippen das notwendige Geld zum Kauf des Bürgerrechtes. Dieses an Korruption mahnende Vorgehen forderte Arbeiter heraus, die auch mit den politischen Ansichten des „baumwollenen Herrgotts” nicht einig gingen. Als Folge gründeten sie den sozialdemokratisch ausgerichteten „Heimat- und Bürgerrechtsverein” und sammelten Beiträge, um Mitgliedern helfen zu können, das Bürgerrecht auch gegen den Willen des allmächtigen Direktors zu erwerben. Kein Wunder, dass durch von Bippens selbstherrliches Benehmen der Unwille gegen ihn wuchs.
Er fand einen sichtbaren Niederschlag in verschiedenen Protestaktionen, die das nahe politische Ende des „Herrgotts” ahnen ließen. Da er den Bogen wider besseren Wissens immer mehr überspannte, bröckelte sein Einfluss immer mehr ab. Verschiedene äußere
Anlässe und das Verhalten seines Schützlings, des Bürgermeisters Eduard Angerbauer, brachten den Umschwung. Es kam zuerst zu einem erbitterten Kampf um dessen Sessel, bei dem von Bippen sich mächtig anstrengte der Opposition gegen den Bürgermeister Herr zu werden, wohl wissend, dass bei seinem Fall auch sein Regime ein Ende hat.Alle Anstrengungen nützten nichts, Schritt für Schritt verlor von Bippen an Boden, seine Gegner waren in der Überzahl, sämtliche Kandidaten, die die Spinnerei für die Gemeinderatswahl aufgestellt hatte, wurden geschlagen und zum neuen Bürgermeister wurde an Angerbauers Stelle der angesehene Kaufmann Edmund Bergmann gewählt. Er hatte sich im Wahlkampf als ein ebenbürtiger Gegner von Bippens erwiesen und ihn mit Angerbauer entthront.
Mit dieser Wahl (1899) wurde auch die Vorherrschaft der Spinnerei im kommunalen Bereich beendet, die immerhin Jahre hindurch sich für das junge Gemeinwesen sehr segensreich ausgewirkt hatte. Von Bippens Verdienste um Kolbermoor bleiben unbestritten – deshalb wurde auch nach ihm eine Straße benannt, die die Erinnerung an den „Kolbermoorer Herrgott” für immer wach halten wird.
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Er setzte Blutegel und zog Zähne
Es muss ein Mann mit besonderen Fähigkeiten gewesen sein, der dritte Bürgermeister von Kolbermoor, Eduard Angerbauer. Von Beruf war er approbierter Bader und Chirurg, wurde 1864 von der Spinnerei als Fabrikarzt angestellt, musste aber schon ein Jahr darauf einem richtigen Arzt Platz machen. Er blieb aber hier und betätigte sich in den erlernten Berufen. So setzte er heißblütigen Mitbürgern Egel und zog, wo nötig, auch Zähne. Als Bader übte er zudem auch das Friseurgewerbe aus, schnitt Bart und Haare, scheute sich aber auch nicht, zum Rasiermesser zu greifen.
Doch Angerbauers Sinn stand nach Höherem. 1866 zog er in den Gemeinderat ein, wurde 1870 Zweiter Bürgermeister und 1881 nach Mathias Stadlers Tod Bürgermeister. Diesen Höhenflug in dieses auch damals schon heißumkämpfte Amt gewann er nur mit Unterstützung des allmächtigen Spinnerei-Direktors Waldemar von Bippen, im Volksmund „baumwollener Herrgott” genannt, der in ihm ein williges Werkzeug seiner Politik sah. So war und blieb er 18 Jahre lang ein Schattenbürgermeister, der vom Rockzipfel seines Herrn nicht wegkam.
Die Folgen wurden bald offenbar: Nicht in der Gemeindekanzlei wurden die Geschicke Kolbermoors entschieden, sondern im Kontor der Spinnerei. Diese Abhängigkeit Angerbauers war zum Teil auch beruflicher Natur. Denn Tag für Tag, wenn Herr von Bippen nicht verreist war, machte er sich auf den Weg, um seinen Herrn und Meister von den über Nacht gewachsenen Bartstoppeln zu befreien.
Von seiner Wohnung bis zur Spinnerei war er die respektheischende Amtsperson, in von Bippens Nähe der geschickte Bader, dem es darauf ankam, seinen vornehmen Kunden (und damit sein Amt) nicht durch Ungeschicklichkeit zu verlieren.
Diese Sorge, bei seinem Herrn in Ungnade zu fallen, führte auch dazu, dass Angerbauer unterwürfig und klatschsüchtig wurde und seine Baderstube sich in eine Nachrichtenzentrale wandelte. Mit der täglichen Rasur verband er seinen täglichen Rapport, bei dem er über alles Rede und Antwort stand, was sich am Ort ereignete. So war der mächtigste Mann Kolbermoors stets im Bilde, was in der Gemeinde vor sich ging. Dadurch wurde für von Bippen der Bürgermeister unersetzlich, da er ja das best geeignete Werkzeug war, ihn an der Macht zu halten. Die Quittung für sein doppelzüngiges Verhalten erhielt Angerbauer, als von Bippens Einfluss dahinschwand. Er fiel mit ihm bei den Mitbürgern in Ungnade.
Die ersten zehn Jahre seiner Amtszeit war Angerbauer beliebt. Seine Leutseligkeit, sein Können und seine hohe Intelligenz sprachen für ihn. Seine öfters durchbrechenden diktatorischen Allüren allerdings wurden ihm übel genommen. Vor allem waren es die Gemeindebediensteten, die gegen ihn aufmuckten und ihm schwere Stunden bereiteten. Es kostete ihm viel Mühe, sich durch harte Maßnahmen durchzusetzen, bei denen er auch vor Kündigungen nicht zurück schreckte.
Beim großen Hochwasser am 2. September 1890 kam es zum unheilbaren Riss zwischen Angerbauer und den Einwohnern. Er hatte sich in der Katastrophennacht in sein Haus eingeschlossen und kategorisch abgelehnt, die erforderlichen Hilfsmaßnahmen durchzuführen. Diese Sturheit wurde ihm nicht verziehen. Hinzu kam noch sein bürgerfeindliches Verhalten, als 1896 die von Herrn von Bippen bekämpfte Freiwillige Feuerwehr gegründet wurde. Dies alles kostete dem sonst so klugen Mann die Sympathie, so dass er bei der Gemeinde- und Bürgermeisterwahl im November 1899 auf verlorenem Posten stand. Als er dann 1907 starb, hatten ihn die Kolbermoorer schon fast vergessen.
Zu seiner Ehre sei aber gesagt: Unter Angerbauers Amtsführung als Erster Bürgermeister wurden die ersten eisernen Kanal- und Mangfallbrücken gebaut. Auch der Bau des Krankenhauses fällt in seine Amtszeit. Trotz seines „Schattendaseins” war er, wie berichtet wird, kein schlechter Bürgermeister, der manches für seine Mitbürger tat, wenn auch nicht alles seiner Eigeninitiative entsprang. Kolbermoor wollte deshalb nicht undankbar sein und benannte eine Straße nach ihm.
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Glas schmolz wie Schnee in der Sonne
Die Stadt Kolbermoor ist im Laufe ihrer Geschichte von Bränden nicht verschont geblieben. Kaum war das neue Gemeinwesen 1863 aus der Taufe gehoben worden, brach auch schon das erste Feuer aus.
Es war am 31. Oktober 1865, als zum ersten Mal Alarm gegeben wurde: Im Batteurhaus der Spinnerei waren Dachstuhl und Mischraum in Brand geraten, in dem die dort zur Verarbeitung aufgestapelten Wollpartien dem Feuer zum Opfer fielen.
Im „Rosenheimer Anzeiger” erschien kurz nach dem Brand ein Inserat, in dem es hieß:
„Danksagung all denen, die uns bei diesem Brandunglück so schnelle und wirksame Hilfe geleistet haben, besonders den hochverehrten königlichen Behörden in Rosenheim, Bad Aibling und Kolbermoor, den hochlöblichen Magistraten, den verehrlichen Feuerwehren, den Arbeitern benachbarter Fabriken und den Einwohnern genannter Orte, die sich mit aller Aufopferung und Hingebung unserer bedenklichen Lage angenommen haben.
Baumwollspinnerei Kolbermoor”.
Die Freiwillige Feuerwehr von Rosenheim erhielt von der Spinnerei für die bei diesem Brand geleistete nachbarliche Hilfe 100 Gulden.
Diesem Brand, der noch glimpflich ausging, folgte 1870 der zweite. In der Nacht zum 9. März brannte das damals florierende Torfwerk Merkel & Co. ab. Die 1867 als Folge des Brandes von 1865 gegründete Spinnerei-Feuerwehr hatte an diesem Tage ihre „Feuertaufe”. Doch gelang es ihr trotz Mithilfe benachbarter Wehren nicht, des Feuers Herr zu werden. Binnen weniger Stunden sank die ganze Preßtorffabrik in Schutt und Asche.
Der nächste Brand – am 22. Juli 1887 – erfasste nach einem schweren Gewitter mit Hagelschlag das Wirtschaftsgebäude des Pullacher Schlosses. Durch einen verirrten Blitz wurde der größte landwirtschaftliche Betrieb Kolbermoors in Sekundenschnelle ein Raub der Flammen. Er brannte bis auf die Grundmauern ab. Das Vieh, die Fahrzeuge und Ackergeräte konnten dank der tatkräftigen Hilfe der Bevölkerung noch in letzter Minute gerettet werden.
Ein ähnliches Schicksal traf das an der Stelle des inzwischen in Konkurs geratenen Torfwerkes Merkel erbaute Tonwerk. Es brannte am 06. Mai 1875 ab. Das Feuer war durch unvorsichtiges Hantieren mit Teer ausgebrochen, breitete sich, begünstigt vom Wind, schnell aus. 20 Feuerwehren versuchten vergeblich, es einzudämmen. Spinnerei – und Ortsfeuerwehr waren pausenlos im Einsatz, um die benachbarten Häuser zu schützen. Sie mussten dem Funkenflug wehren, der das Meisterhaus an der Haßlerstraße und den Bahnhof mehrmals gefährdete.
Die Wasserzufuhr kam aus Hydranten der Spinnerei und aus der Mangfall. Die Schläuche mussten, um den Zugverkehr nicht zu behindern, unter den Schienen verlegt werden. Als
um 15 Uhr der Brand lokalisiert werden konnte, standen vom Tonwerk nur mehr die Grundmauern. Es musste ganz neu aufgebaut werden.
Nach dem größten Brand in Kolbermoor, bei dem 1898 wieder die Spinnerei das Opfer war, suchten ähnliche Katastrophen die Gemeinde heim. 1904 brannte es im Tonwerk
zum zweiten Mal, 1913 war ganz Kolbermoor auf den Beinen, um mitzuhelfen, das Großfeuer im damaligen Tonwerk in Mitterhart zu löschen, in dem viele Einwohner Arbeit und Brot gefunden hatten. Doch jede Hilfe kam zu spät, das Werk wurde völlig vernichtet und nicht wieder aufgebaut (Bild links: Brand in der Spinnerei 1898 „Der Anblick der Brandruine vom Platz zwischen den beiden Brücken”)Im „Rosenheimer Anzeiger” war dazu zu lesen: „Die Maschinen krachten mit Donnergetöse in die Tiefe, schwingende, glühende Balken nahmen den gleichen Weg, glühende Eisenträger krümmten und kräuselten sich, ehe auch sie zu Boden gingen. Stürzende Mauern folgten. Und bei jedem polternden Sturz stob ein grandioses Funkenmeer gegen den rotleuchtenden Himmel. Von den der Glut ausgesetzten Fenstern schmolz das Glas wie Schnee in der Sonne”.
Ein weiteres Großfeuer traf Kolbermoor am 20. Juni 1928. Und wieder war es das Tonwerk, das daran glauben musste. Um 14.30 Uhr schreckten Glockengeläute und Signalhörneralarm die Kolbermoorer aus ihrer beschaulichen Ruhe. Diesmal war der Dachstuhl in höchster Gefahr. 120 Meter über dem Ringofen standen in Flammen, die von einem heftigen Westwind immer stärker entfacht wurden. Außer den Kolbermoorer Wehren hatten sich zahlreiche aus der Nachbarschaft am Brandplatz eingefunden (Bild rechts: Brand im Tonwerk 1928).
Doch behinderte das Fehlen von Wasser und Schläuchen die Löscharbeiten. Erst als in letzter Minute die Münchner Berufsfeuerwehr mit zwei Löschzügen angebraust kam, wendete sich das Blatt. In knapp zehn Minuten legte sie zwei Schlauchleitungen zum Mangfallkanal und brachte mit ihrem fachmännischen Können das Feuer unter Kontrolle. In Kolbermoor brannte es seither noch mehrmals. Doch gelang es der örtlichen Wehr, unterstützt von der Wehr aus Pullach und den Werksfeuerwehren, die Stadt vor einer größeren Katastrophe zu bewahren.
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Brunnen am Edmund-Bergmann-Platz
Inmitten der gepflegten Parkanlage am Edmund-Bergmann-Platz, benannt nach Kolbermoors viertem Bürgermeister (1899-1919), befindet sich ein Springbrunnen, gekrönt von einer geheimnisvoll anmutenden wasserspeienden Figur, die seit eh und je auch alteingesessenen Einwohnern Rätsel aufgibt. Dieses „Schmuckstück” an der Rosenheimer Straße / Bahnhofstraße gab zu verschiedenen Deutungen Anlass und erregte auch Interesse bei auswärtigen Besuchern.
Einer davon veranlasste einen Kölner Universitätsdozenten, ein Gutachten über diese Figur zu erstellen, um dem Rätselraten ein Ende zu bereiten. Der Gutachter nahm verschiedene Untersuchungen vor und setzte sich dann mit der Bayerischen Staatsgalerie in Verbindung, die zu entscheiden hatte, ob es sich um eine schutzbedürftige, künstlerisch wertvolle Arbeit handle.
Als erstes konnte festgestellt werden, dass diese Figur mit Brunnen 1903 durch die Initiative des Bahnexpeditors Schauer aufgestellt wurde, der einen Verschönerungsverein in Kolbermoor gegründet hatte. Als Standort wählte Schauer den damaligen Marktplatz aus, wie der heutige Bergmann-Platz genannt wurde, den er in eine Grünanlage umwandeln ließ.
Die Auslagen beliefen sich auf rund 300 Mark, die der Spinnerei-Direktor Carl Jordan, der dem Gemeinderat angehörte, übernahm. Es wurde auch eine Gedenktafel am Brunnen angebracht, die an die Errichtung der Wasserleitung und Kanalisation erinnern sollte.Dem Gutachten nach handelt es sich bei der wasserspeienden Brunnenfigur um einen „Triton”, der in der griechischen Sage als muschelblasender Begleiter der Nereiden (Töchter des Meergottes Nereus), halb Mensch, halb Fisch, dargestellt wird und mit seinem Horn, dem „Tritonhorn”, nachgebildet einer Meerschnecke, die Gewalt, Kraft und Schönheit des lebenspendenden Wassers symbolisieren soll.
Vorbild dieses Kolbermoorer Brunnens soll der Tritonbrunnen sein, den der römische Architekt und Bildhauer Lorenzo Bernini (1598-1680) im Jahre 1640 auf der Piazza Barberini in Rom geschaffen hat. Dabei, so das Gutachten, handle es sich nicht um eine sklavische Kopie, sondern um eine freie Nachschöpfung. Die Riesenschnecke Berninis sei in ein leichtes Muschelhorn und die gewaltige, von Delphinen getragene Muschelschale zu einem Naturfelsen umgebildet worden.
In der Annahme, es sei diese Brunnenfigur ein wertvolles Kunstwerk, kämpften die Kolbermoorer mit aller Kraft für dessen Erhaltung. Dass ihr Schöpfer unbekannt blieb, kümmerte sie nicht. Um jeden Preis wollten sie dieses selten schöne Bronzebild, das Übereifrige mit Werken in den Schlössern Ludwig II. verglichen, vor Zugriffen schützen. Dies dürfte auch der Grund gewesen sein, dass es in den Kriegsjahren 1914/18 und 1939/45 mit Farbe und Zementschlemme übertüncht wurde, um diese Kostbarkeit, wie viele meinten, vor einer Demontage für Kriegszwecke zu bewahren.
Fest steht, dass dieser Brunnen mit der oft unbeachteten Figur immerhin eines der wenigen Denkmäler ist, die Kolbermoor besitzt. Ob es weiterhin erhaltungswürdig ist, haben die Stadtväter zu entscheiden. Voraussetzung dafür müsste es sein, dass es sich wirklich um ein wertvolles Kunstwerk handelt – in dem Gutachten ist nur von einem „zu rettenden Brunnen” die Rede – ein Werturteil fehlt.
Nachtrag:
Am 17.04.1983 hat der Kolbermoorer Stadtrat die Ausbesserung der schadhaften Brunnenfigur diskutiert. Es wurde ein Neuguss des „Triton” beschlossen, wobei das Becken, an dem der Zahn der Zeit gleichfalls stark genagt hat, ebenfalls erneuert wurde. -
Kolbermoor – eine liebenswerte Stadt
An den Ufern der Mangfall, inmitten alpenländischer Hochmoore, liegt die Industriestadt Kolbermoor. Wo dieser Fluss einst wild schäumend sich durch urbayerische Landschaften dahin zog, schuf kühner Pioniergeist die erste industrielle Anlage – die Baumwollspinnerei und mit ihr die Ansiedlung, die 1863 nach Zusammenschluss der einstigen Mietrachinger Ortsteile Pullach und Aiblinger Au zu einer selbständigen Gemeinde wurde. Handwerklicher Fleiß und gewerbliche Tüchtigkeit gaben dem Ort bald ein Gepräge, das dazu beitrug, mehr und mehr Gewerbebetrieben Anreiz für eine Heimstatt zu bieten.
Kolbermoor, diese Stadt am Rande der bayerischen Voralpen, 462 Meter über dem Meeresspiegel gelegen, mit ihrem milden und gesunden Klima, geschützt vor allzu rauen Winden durch Höhen im Norden, Wald im Westen und Osten und Berge im Süden, hat eine vielschichtige Bevölkerung. Da lebt der Arbeiter neben dem Bauern, der Geschäftsmann neben dem Beamten und Angestellten, der Pensionist neben dem Freischaffenden. Und doch bewahren alle ihre eigene Art. Vielleicht sind es gerade diese Kontraste, die die Menschen in Kolbermoor einander näher bringen und sie zu gegenseitigem Nutzen einen. Selten mag eine Symbiose so wirksam werden wie gerade in dieser Stadt.
Dieser Gleichklang mag auch dazu geführt haben, dass große Männer am Werk sein konnten, zum Wohle ihrer Mitbürger dem einst so unscheinbaren Ort zum Ansehen zu verhelfen. Erinnert sei dabei in erster Linie an die Verdienste der führenden Persönlichkeiten der Baumwoll-Spinnerei, allen voran an Theodor Haßler, der als erster einen Generalplan für das Ortsbild buchstäblich „auf dem Reißbrett" entwarf. Doch bevor seine Nachfolger daran gingen, weite Strecken des heutigen Stadtgeländes urbar zu machen, wobei sie harte Arbeit zu leisten hatten, wuchsen schon die ersten Häuser aus dem Moorboden. Es bauten der Schlosser, der Schneider, der Wirt, der Bäcker, der Schuhmacher, der Krämer, es bauten Bauern aus Bad Aibling, aus Aising, aus Pang. Fachkundige Maurer und Zimmerer, Torfstecher und Taglöhner errichteten für sich und andere Eigenheime. Für sie war nur wichtig, ein billiges, eigenes Dach über dem Kopf oder eine wirtschaftlich tragbare Mietwohnung zu haben. An das Schließen von Baulücken dachten sie nicht – ein Umstand übrigens, der dem heutigen Kolbermoor noch zu schaffen macht.
Es ist ohne Zweifel der Verdienst der Männer, die Kolbermoor zu führen hatten, dass im Laufe eines Jahrhunderts aus dem einstigen Fabrikdorf die heutige namhafte Stadt wurde. Ungeachtet der auf den Ort hereinstürmenden Katastrophen – Hochwasser, Feuersbrünste und Kriegsfolgen
– verfolgten sie unbeeindruckt das ihnen vorgegebene Ziel, das ihnen anvertraute Gemeinwesen über alle Fährnisse hinwegzusteuern und zu einem Gebilde zu formen, das jeder Kritik standhält. Zugleich war es ihr Streben, all denen eine Chance zu geben, die daran interessiert waren, sich als Gewerbetreibende niederzulassen oder eine Heimstatt zu finden.Namen wie die Direktoren der Spinnerei, Hassler, Förster, von Bippen, Jordan und Hausenblas, sind in diesem Zusammenhang, da sie auch in der Kommunalpolitik eine bedeutende Rolle spielten, ebenso zu nennen wie die Reihe der Bürgermeister von Johann Ritsch bis Adolf Rasp, der als zehntes Gemeindeoberhaupt 15 Jahre nach der Stadterhebung und 18-jähriger Amtsführung seinen Platz einer jüngeren Kraft, dem Ersten Bürgermeister Erwin Huber, überließ. Unter der Amtszeit von Adolf Rasp nahm, wohl begünstigt durch den allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung, auch Kolbermoor eine stürmische Entwicklung, die zu seiner heutigen Größe führte.
Aber nicht nur die Ausdehnung Kolbermoors und der Zuwachs an Bevölkerung, bedingt durch Ausweisung neuer Baugebiete, hat die heutige Stadt bekannt gemacht. Es war auch der Pioniergeist der Siedler, die in Männern wie Winkelblech, Ludwig Prager, Dismas Reheis erfolgreiche Vorkämpfer fanden. Der Erhöhung des Bekanntheitsgrads diente aber auch das seit der Gründung des Ortes offensichtliche Bekenntnis der Kolbermoorer zu kulturellen Werten. Die Freude am Lied, an Tanz und Spiel, der Wille zu gemeinschaftlicher sportlicher Leistung zeichnen die Einwohner aus. Der Ehrentitel „Singendes Dorf”, der der Moorstadt zuteil wurde, ist ehrlich verdient. Er bleibt für immer mit dem Altmeister heimatlichen Liedgutes, Hans Lorenz, verbunden, dessen Wirken als Nachfahre des Kiem Paul unvergessen ist.
Als ein Zeichen des nie versiegenden Pioniergeistes, der den Kolbermoorern innewohnt, ist auch die Durchsetzungskraft des örtlichen Mittelstandes zu werten.
Handwerker und Gewerbetreibende der verschiedenen Sparten hatten es seit Bestehen des Ortes nicht leicht, Zwangswirtschaft, Materialmangel, Einschränkungen der Niederlassungsfreiheit, Inflationen und Währungsreform zu überstehen. Ihnen ist es zu danken, dass das Stadtbild das attraktive Aussehen hat, das Kolbermoor schon von außen her so liebenswert macht. Handwerkliches Können und gewerblicher Fleiß sorgen auch weiterhin dafür, dass der schon zu einem festen Begriff gewordene Slogan „Wertarbeit aus Kolbermoor” zu keiner hohlen Phrase wird.Bild: Die erste Aufnahme von Kolbermoor nach dem Krieg vom Spinnerei-Kamin aus in 62 m Höhe, November 1949, © A. Dussmann